COVID-19-IMPFSTOFFE ALS AUSWEG AUS DER KRISE
Prof. Dr. med. Daniel Paris, Leiter des Departements Medizin, Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut Basel, gab beim BB Biotech Webinar Anfang Februar seine Einschätzung zur
COVID-19-Pandemie, unter anderem auch dazu, was die neuen Virusvarianten aus Grossbritannien, Südafrika und Brasilien für Auswirkungen haben können und was zu tun ist. Hier finden Sie eine Zusammenfassung:
Aktuell ist zu beobachten, dass sich Mutationen im Spike-Protein des SARS-CoV-2-Virus häufen – dies ist insofern wichtig, als dieses Virusoberflächeneiweiss das Hauptziel der aktuellen Vakzine darstellt. Solche Mutationen können dem SARS-CoV-2-Virus ein Ausweichen der Immunantwort erleichtern, weil (v.a. neutralisierende) Antikörper nicht mehr so gut an das Virus binden und dieses eliminieren. Dadurch könnte sich die Immunantwort abschwächen und es den Viren gelingen, sich schneller zu vermehren. Hohe Viruslasten sind oft mit einer erhöhten Ansteckbarkeit verbunden. Die ersten Phase-III-Impfstudien in Gebieten mit hoher Variantendichte zeigen bereits eine gewisse reduzierte Wirksamkeit der Impfungen. Folgerichtig muss das Konzept der Herdenimmunität im Sinne einer impfinduzierten Immunantwort neu überdacht werden. Um eine höhere Ansteckungsrate zu neutralisieren, ist möglicherweise eine höhere Immunabdeckung als die bislang für eine Herdenimmunität taxierten 60% bis 65% der Bevölkerung notwendig. Die künftige Impfstrategie gegen COVID-19 könnte analog zur Entwicklung der Grippeviren zyklische oder saisonale Muster annehmen. Dabei werden die Wirkstoffe der Vakzine an die aktuell zirkulierenden Virenstämme angepasst.
«Die künftige Impfstrategie gegen COVID-19 könnte analog zur Entwicklung der Grippeviren saisonale Muster annehmen»
Diagnostika spielen eine Schlüsselrolle bei der schnellen Identifizierung neuer Infektionsherde. Im Kontext zu COVID-19 haben sich mit der molekularen PCR-Sequenzierung, den Antigentests und den Antikörper-basierten Tests drei Verfahren etabliert. Allerdings erfordern die aktuellen PCR- und Antigentests ein Labor. Für Antikörpertests sind wiederum Blutproben erforderlich. Das Marktpotenzial von einfach zu bedienenden Tests für den Hausgebrauch oder für Reisen, Events, Altersheime und Schulen ist deshalb noch nicht ausgeschöpft. Das aus akademischen Einrichtungen und Industriepartnern gebildete DAVINCI-Konsortium in der Schweiz entwickelt den ersten diagnostischen Heimtest. Dabei werden Antigene und Antikörper im Speichel getestet, eine einfache App liefert den Befund. Nach dem Proof-of-Concept im Jahr 2020 soll die Entwicklung bis Ende 2021 abgeschlossen sein. Es wird überlegt, das System als Plattform auch für andere Infektionskrankheiten und Grippe zu nutzen.
«Ein weiterer Vorteil der mRNA-Vakzine sind deren schnelle technologische Anpassungsfähigkeit auf neue saisonale Virusvarianten und ihre minimalen Nebenwirkungen»
Die Entwicklung von prophylaktischen Impfstoffen gegen COVID-19 hat in den vergangenen zwölf Monaten einen beeindruckenden Prozess durchlaufen. Anfang Februar befanden sich 63 Vakzine in der klinischen Entwicklung, davon 22 in der zulassungsrelevanten Phase III. Zehn Vakzine wurden bereits zugelassen. Drei Technologien stehen dabei im Vordergrund. Virus-Vektor-Vakzine, bei denen virale Vektoren als Transportmittel dienen, können starke Immunantworten auslösen. Die Impfstoffe von AstraZeneca und Janssen (Einmal-Impfung) zeigten bei einmaliger Gabe eine Wirksamkeit von 70% beziehungsweise 66%, die jedoch bei den neuen Virusvarianten deutlich niedriger ausfiel. Die beiden zuerst zugelassenen mRNA-Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer überzeugten mit einer sehr hohen Wirksamkeit von 94% beziehungsweise 95%. Ein weiterer Vorteil der mRNA-Vakzine sind deren schnelle technologische Anpassungsfähigkeit auf neue saisonale Virusvarianten und ihre minimalen Nebenwirkungen. Ein Nachteil sind dagegen die Lagertemperaturen von -20 bis -70 Grad. Die aus Eiweissen und Adjuvantien bestehenden proteinbasierten Vakzine haben sich gegen Grippe und humane Papillomviren bewährt und zeigen auch bei COVID-19 eine hohe Wirksamkeit, die bei den neuen Virusvarianten allerdings ebenfalls niedriger ausfällt.
Noch erlaubt die aktuelle Datenlage keine schlüssige Beurteilung, wie langlebig die vakzininduzierte Immunantwort ausfällt. Vergleiche zwischen Placebogruppen und Daten nach der erstmaligen Injektion eines mRNA-Impfstoffs suggerieren jedoch in dieser Impfstoffgattung eine mögliche Latenz von bis zu zwölf Wochen für die zweite Dosis. Entscheidend für eine dauerhaft wirksame Immunisierung gegen COVID-19 wird sein, wie schnell Vakzine entwickelt werden, die sich an die veränderten Eiweissstrukturen auf der Virusoberfläche anpassen. Um die Verabreichung patientenfreundlicher zu gestalten, werden in Zukunft auch inhalierbare oder per Nasenspray verabreichte Vakzine im Fokus der Entwicklung stehen.